23. Januar 2011
Von Hannes Koch
Deutschland feiert sich als grüne Republik, doch der Aufschwung bei erneuerbaren Energien fordert Opfer: Beim Bau von Offshore-Windparks ignorieren Firmen Grenzwerte für Lärm. Darunter leiden die ohnehin gefährdeten Schweinswale. Forscher fahnden nach einem wirksamen Krachschutz.
Es ist ein kurioser Kampf: Beim Ausbau der grünen Energieversorgung steht Ökologie gegen Ökologie. Es geht um den sauberen Strom, den die Bundesregierung mit etlichen Windkrafträdern auf der Nord- und Ostsee erzeugen lassen will. Doch im Meer leben auch Schweinswale, Robben und verschiedene Fischarten, die durch den Ausbau der Offshore-Windparks gefährdet sind.
Die geräuschempfindlichen Schweinswale, die einzige heimische Walart in deutschen Gewässern, können den Krach der Bauarbeiten nicht vertragen. Deshalb gibt es einen Grenzwert für Unterwasserlärm, den das Umweltbundesamt festgelegt hat. Aber den halten die Ingenieure zur Zeit nicht ein.
Am drängendsten ist das Problem beim Windpark "Bard Offshore 1", der 90 Kilometer nordwestlich der Nordseeinsel Borkum entsteht. 15 riesige Windräder auf jeweils drei Beinen stehen dort bereits im Meer. Projektmanagerin und Biologin Susanne Schorcht räumt ein: "Bei den Bauarbeiten haben wir Lärmwerte von 178 Dezibel (dB) SEL im Abstand von 750 Metern gemessen." Der Grenzwert des Umweltbundesamtes aber erlaubt nur 160 dB SEL, wobei SEL für "Schallexpositionspegel" steht. Dieser ermöglicht eine Aussage über die Wucht eines Schallereignisses, die das Tier erreicht. "Wir wollen das Problem lösen, die Brisanz ist uns klar," sagt Schorcht.
Rund 1800 Windturbinen sollen bis 2020 in den deutschen Gewässern der Nord- und Ostsee gebaut werden. "Bard Offshore 1" ist einer der ersten Parks. Die Firma aus Emden ist Vorreiter - auch bei den Schwierigkeiten. Eigentlich sollen die insgesamt 80 Anlagen bis zum Sommer 2011 fertig sein, jede Verzögerung kostet viel Geld.
Nicht nur die Betreiberfirma steckt in einem Konflikt, sondern auch die Genehmigungsbehörde, das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie in Hamburg (BSH). Einerseits ist da der Grenzwert für die Wale, den weder die Firma, noch das Amt ignorieren können. Andererseits sagt BSH-Jurist Christian Dahlke: "Einen Stand der Technik für effektive Maßnahmen zur Lärmminderung bei Offshore-Rammungen gibt es noch nicht."
Bisher ist die Forschung nicht so weit. Niemand weiß, wie man den Grenzwert einhalten soll, wenn die meterdicken Pfeiler für die Windräder von Schiffen aus mit irrwitziger Kraft in den Meeresboden gehämmert werden.
Was tun? Immer mal wieder versuchen die Offshore-Firmen, den Lärmwert für Wale in Zweifel zu ziehen. Dagegen wehrt sich Meeresbiologin Stefanie Werner, die im Umweltbundesamt (UBA) daran mitgewirkt hat, die Krachgrenze zu etablieren. "Das UBA hat den Grenzwert bei 160 Dezibel festgelegt, weil Schweinswale ab 164 Dezibel eine kurzfristige Schwerhörigkeit erleiden können", erklärt Werner. "Das haben wissenschaftliche Untersuchungen der Universität Kiel ergeben. Noch höhere Lärmbelastungen bedrohen die Überlebensfähigkeit der Tiere, weil sie sich dann möglicherweise nicht mehr verständigen und orientieren können."
Die Rücknahme des Grenzwertes scheidet für die Bundesämter aus. Sie bieten Bard aber einen Kompromiss an. Während des Baus der nächsten zehn Windräder soll das Unternehmen ein Verfahren gegen den Unterwasserlärm erforschen. "Ab der 25. Anlage muss Bard ein verbessertes Schallschutzkonzept inklusive der versuchsweisen Anwendung einer Lärmminderungstechnik nachweisen," sagt BSH-Jurist Dahlke. Ein Baustopp kommt für ihn nicht in Frage. Juristisch lässt sich dieser Kompromiss rechtfertigen, weil der heutige Grenzwert vor einigen Jahren, als Bard erstmals genehmigt wurde, noch den Charakter eines Richtwertes mit geringerer Verbindlichkeit hatte.
Jetzt heißt es "Forschen", und zwar schnell. Denn künftig müssen die Betreiber den Lärmschutz einhalten. Bisher sind folgende Verfahren bekannt:
Weil keine der Methoden bisher marktreif ist, behilft sich Bard einstweilen damit, die Schweinswale von der Rammstelle zu verscheuchen. Auch dafür setzt man Unterwasserlärm ein. Zuerst werden rhythmische Signale ins Wasser gesendet, dann folgt Krach, der fast so laut ist wie der Grenzwert. Nach Angaben der Bard-Leute ist diese Taktik wirksam: Die Tiere schwimmen weg, bevor das Rammen beginnt, kommen aber auch zurück, wenn wieder Ruhe einkehrt.
Nicht anfreunden mit derartigen Kompromissen will sich Karsten Brensing. Der Meeresbiologe der internationalen Wal- und Delfinschutzorganisation WDCS sagt: "Man sollte nur weiterbauen, wenn die Betreiber einen wirklichen Beitrag zur Schallminderung leisten." Brensing betont, dass selbst der Grenzwert des UBA keinen ausreichenden Schutz gewährleiste, weil er nur "für einen einzigen Rammschlag berechnet" sei. Beim Bau eines Windrades seien aber mindestens hunderte oder gar tausende Rammschläge notwendig, wodurch die schädliche Schallwirkung zunehme.
Brensing fordert die Offshore-Firmen auf, alternative Bauverfahren zu erwägen. Beispielsweise könne man die Windräder auf schwimmenden Konstruktionen errichten, wie sie die Ölindustrie benutze. Überlegenswert seien auch Bohrtechniken, die das Rammen mit Hammerschlägen überflüssig mache. Firmen wie etwa das Unternehmen Herrenknecht, das an der Bohrung des Gotthardtunnels beteiligt war, spezialisieren sich mitunter auch auf Bohrungen in der Vertikale.
"Es ist im Sinne der Windkraft den Schall zu reduzieren", so Brensing, "welcher grüne Stromkunde würde wohl akzeptieren, dass massenhaft toter Schweinswale an den Strand von Sylt gespült werden?"
Für Susanne Schorcht vom Unternehmen Bard allerdings kommt ein grundsätzlicher Richtungswechsel nicht in Frage: "Wenn wir jetzt auf schwimmende Fundamente oder andere Verfahren wechseln würden, könnten wir vorerst nicht weiterbauen. Weil es sich bei unserem Vorhaben um ein Pilotprojekt handelt, bitten wir die Politik um Nachsicht und Unterstützung."
Link:www.spiegel.de/wissenschaft/natur/0,1518,740606,00.html